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Der Wingolf in Estland

Der Wingolf in Estland

Seine Wurzeln hat der 1844 begründete Wingolfsbund in Berlin, Bonn, Erlangen und Halle. Die Entfernungen zwischen diesen Universitätsstädten waren vor über 175 Jahren sicherlich nicht einfach zu bewältigen (die ersten Eisenbahn in Deutschland fuhr schließlich erst acht Jahre zuvor). Aber die Distanz die der Wingolfsgedanke dann hinlegte, ist heute immer noch beachtlich – und muss damals phänomenal gewesen sein. Schließlich näherte sich schon 1859 im heutigen Tartu, der Universitätsstadt in Estland, eine junge christliche Studentenverbindung an den Wingolf an.

„Erbaulicher“ und „Theologischer Abend“ als Ausgangspunkt

Im Jahr 1845 entstand an der Universität Tartu ein „Erbaulicher Abend“, bei dem sich Studenten „an jedem Samstag Abend“ vereinigten, „indem sie ein Lied sangen und eine Predigt vorlasen“. Dieser Erbauliche Abend legte den Grundstein für den Wingolf, der sich mit Gründungsdatum 24. Oktober 1850 erst zum „Theologischen Abend“ weiterentwickelte und anschließend mit dem an Turnvater Jahn angelehnten Wahlspruch „Frisch, fromm, fröhlich, frei!“ zur christlichen Studentenverbindung. Ab 1859 folgte die Annäherung an den Wingolfsbund, 1860 die Umbenennung in Arminia Dorpatensis sowie im Oktober auch die Anerkennung seitens der Universität durch den damaligen Prorektor Georg von Oettingen und 1862 beim 7. Wartburgfest die Aufnahme in den Wingolf. Vier Jahre später kam es jedoch zu einer ersten Vertagung, sprich Auflösung der studentischen Verbindung. In personeller wie programmatischer Hinsicht kann der 1867 gegründete Theologische Verein (Societas Theologica) als Nachfolgeorganistation angesehen werden.

Erste Neustiftung 1870…

Als christlich-überkonfessionelle Verbindung hatte die Arminia gegenüber den deutschbaltischen und urestnischen Verbindungen in Tartu trotz der Neustiftung 1870 jedoch einen schweren Stand, was 1883 zu einer langjährigen Vertagung der Aktivitas führte. Dennoch blieb die Tradition grundsätzlich ungebrochen gewahrt: Erst hielten die Philister die Verbindung am Leben, verliehen Bänder und beteiligten sich über die Stipendiumskasse am studentischen Leben, dann übernahm der 1923 gegründete Danziger Wingolf die Tradition und die Philister gründeten 1925 erstmals einen Philisterverein. Unterbrechungen gab es lediglich – äquivalent zu faktisch allen anderen Studentenverbindungen auch – während der Zeit im Dritten Reich, als der Danziger Wingolf suspendiert wurde und in Tartu während der ersten sowjetischen Besetzung 1940 auch der Theologische Abend und Arminia Dorpatensis seitens der neuen Verwaltung geschlossen wurde. Nach Kriegsende übernahm der Darmstädter Wingolf die Traditionspflege für die Arminia Dorpatensis und auch der Philisterverein rekonstituierte sich.

…zweite Neustiftung 1994

Im Mai 1994 erfolgte die Neustiftung vor Ort in Tartu und 1997 beim Wartburgfest die Wiederaufnahme in den Wingolfsbund. Der älteste Korporationsverband Deutschlands akzeptierte damit die vor allem über Philister gepflegte Traditionslinie, so dass die Verbindung gemäß Gründungsdatum an siebter Stelle geführt wird. Mit der Neustiftung wurde auch der ursprüngliche Wahlspruch in „Jumal, Vabadus, Isamaa!“” (estnisch: Gott, Freiheit, Vaterland!) geändert.

Schon gewusst?

Die Form der Kopfcouleur ist laut des Geschichtsmuseums der Universität Tartu identisch zu den Formen der Deckel der Korporation Baltica (1850–1856) und der zionistischen Korporation Hasmonaea (1923–1940) – beide ebenfalls aus Tartu.

Gegen Ende der 1860er Jahre wurde die „Stipendienkasse des theologischen Abends und der Arminia Dorpatensis“ eingerichtet, die jedoch erst 1910 eine offizielle Registereintragung erfuhr. Die Höhe des Stipendiums hing dabei von der wirtschaftlichen Situation des jeweiligen Studenten ab und konnte zwischen 25 und 300 Rubel pro Jahr liegen.

Nach der Vertreibung der Balten-Deutschen und dem Ende der sowjetischen Besetzung ist Arminia Dorpatensis die einzige Verbindung mit deutschbaltischem Ursprung, die sich im Baltikum rekonstituiert hat. Aufgrund des deutschen Ursprungs wurde die Arminia im Jahr 2012 daher auch in einem offiziellen touristischen Werbeflyer der Stadt Tartu erwähnt.

Das Korporationshaus der Verbindung wurde 1995 dem Theologen und Pfarrer Traugott Hahn gewidmet, der in Estland als Held des estnischen Befreiungskampfes gilt und christlicher Märtyrer ist. Anwesend bei der Zeremonie war auch dessen Sohn Wilhelm Hahn, u.a. ehemaliger Kultusminister Baden-Württembergs.

Dieser Text basiert auf dem Artikel Benutzer:Herr P. schreibt/Arminia Dorpatensis aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported (Kurzfassung). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.

Bilder: H2ppyme, Public domain, via Wikimedia Commons (Flagge), Michael Doeberl (Hrsg.), Public domain, via Wikimedia Commons (Wappen) – eigene Collage

Posted by Onlineredaktion
Was uns wichtig ist

Was uns wichtig ist

Wo Menschen beieinander sind und es verbindlich zugehen soll, braucht es Regeln. Deshalb schreiben sich Vereine und auch Studentenverbindungen Satzungen. Traditionelle Studentenverbindungen wie der Wingolf kennen darüber hinaus noch den Comment, der vor allem das gesellige Miteinander und Leben auf dem Haus (oder in der WG) regelt.

Früher nahmen die Regeln der Studentenverbindungen starken Einfluss auf das Privatleben der Mitglieder. Heute dienen sie uns vor allem dazu, ein freundschaftliches und faires Miteinander zu organisieren.

Satzungen und Comments bauen auf Prinzipien auf, die sich jede Studentenverbindung selbst gibt. Das ist im Wingolf nicht anders. In der Tat unterscheiden sich die Prinzipien der einzelnen Wingolfsverbindungen voneinander. Doch es gibt auch Grundprinzipien, die allen Wingolfsverbindungen gemein sind: Christianum, Academicum und Korporativum.

Über die lange Zeit der Existenz des Wingolf haben sich andere Prinzipien hinzugesellt und sind auch wieder aus der Mode gekommen oder diskreditiert worden. Ein Beispiel dafür ist das Vaterlandsprinzip, das bis heute viele andere Studentenverbindungen kennen. Im Wingolfsbund hat es in Wahlsprüchen einzelner Wingolfsverbindungen bis heute einen kleinen Nachhall.

Die Wingolfiten des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und während der Zeit des Nationalsozialismus schätzten das Vaterlandsprinzip. Manche verbanden auch in Zeiten der ersten deutschen Demokratie damit die Treue zum Kaiser, andere waren einem verfälschten Deutschtum erlegen, wieder andere verstanden unter dem Vaterlandsprinzip eine Art aufgeklärten Patriotismus.

Nach dem 2. Weltkrieg weitete der Wingolfsbund sein Verständnis vom Vaterland. Wir wünschen uns, dass unsere Mitglieder ein lebendiges Interesse für die Gesellschaft und das Land in dem sie leben entwickeln.  Dabei muss es sich nicht um Deutschland handeln. Damit ist der Wingolf nach Shoah und 2. Weltkrieg zu einem Universalismus zurückgekehrt, der ihn in seiner Gründungszeit geprägt hat und der zutiefst in seiner christlichen Grundhaltung verwurzelt ist.

“Dem Staat, dem wir zugehörig sind, schulden wir als Christen und Akademiker die Erfüllung seiner Gesetze und darüber hinaus eine verantwortliche Mitarbeit im Sinne des Gemeinwohls. Insbesondere schließt das ein beherztes Engagement für Demokratie und Bürgersinn ein. Wir schulden ihm nicht Treue bis in den Tod und blinden Gehorsam. Man kann nichts verschenken, was man selbst nur geliehen bekommen hat. Unser Vaterhaus steht nicht in einem irdischen Land.”

Trotzdem singen wir auf unseren Kneipen, den traditionellen Feiern der Studenten, auch über die Schönheit der deutschen Landschaft. In manchem Lied finden sich auch Sätze, die nicht alle Mitglieder überhaupt oder aus voller Brust mitsingen. Aber Bürgersinn beinhaltet für uns Wingolfiten auch, dass man den Ort, an den man gestellt ist, annimmt und auf Verbindung, Studienort und Universität auch durchaus stolz ist.

“Von seiner Heimat soll auch der Wingolfit in den höchsten Tönen schwärmen. Meine Heimat kann nicht besser sein als deine. Und der Sinn der Heimat entfaltet sich erst dann, wenn Gemeinschaft gestiftet wird. Heimatverbundenheit soll eine Einladung sein, sich dort mit dem Herzen zu beheimaten, wo ein anderer schon wohnt. Daher kann es keine Konkurrenz zwischen verschiedenen Heimaten geben. Auch weil Christen letztlich wissen dürfen, dass ihre irdische Heimat nur aus Stein gebaut ist.”

Christianum

Beim Verhältnis des Wingolf zum Patria-Prinzip ist es schon aufgefallen. Maßstab unseres Handelns und Denkens ist das Christianum, das heißt der Bezug auf den Glauben an Jesus Christus und die Traditionen des Christentums.

Vor Ort in den einzelnen Wingolfsverbindungen schlägt sich diese Orientierung unterschiedlich nieder. Das Prinzip des Christianums hält uns einerseits zu bestimmten Veranstaltungen wie Gottesdiensten, Gesprächsabenden und Ernsten Feiern an. Es ist aber vor allem Maßstab unseres Miteinanders.

Seit seiner Gründung hat sich der Wingolf nicht als missionarische Bewegung verstanden, sondern wollte vor allem im konkreten Alltagsleben der Bundesbrüder christliche Verbindung sein. Aus christlicher Haltung hat der Wingolf schon immer kritisch auf einige studentische Traditionen geblickt und bis heute ist das Christianum der Maßstab, an dem wir zu richten haben, was wingolfitisch ist, und was nicht.

In vergangenen Zeiten hat sich aus dem Christianum unter dem Einfluss der Erweckungsbewegung in einigen Wingolfsverbindungen eine starke Betonung der Sittlichkeit entwickelt. Theaterbesuch und öffentliche Zärtlichkeitsbekundungen zum anderen Geschlecht, gar eine Mitnahme von Kommilitoninnen auf das Haus waren ausgeschlossen.

Heute unternehmen wir den Versuch, das Christianum im gerechten und freundschaftlichen Umgang miteinander zu verwirklichen. Wingolfiten wollen einander Nächste sein. Die Sorge umeinander umschließt darum natürlich auch Lebenspartner, Freundinnen und Familien.

Academicum

“Studium geht vor!”, diesen Satz wird wohl jeder Wingolfit mal von einem älteren Bundesbruder gehört haben. Das Studium geht vor, auch vor dem Engagement in der Verbindung, vor Feiern und Reisen und allem, was sonst so Spaß macht und womit sich der Wingolfit so seine Zeit vertreibt.

Trotzdem sind die Häuser und WGs des Wingolfs keine reinen Studierstuben oder liegen in der Grabesstille einer Bibliothek da. Wir verstehen Studium nicht allein als Erlernen spezifischer Fachinhalte, sondern als Bildungsprozess der ganzen Person. Dazu gehört auch, sich für andere Fächer und Themen zu interessieren, als für diejenigen, in denen es besonders leicht Creditpoints gibt.

Deshalb organisieren viele Wingolfsverbindungen Lerngruppen, akademische Vorträge und Symposien. Und der Wingolfsbund lädt alle seine studierenden Mitglieder zu den Wingolfsseminaren ein, die der Persönlichkeitsbildung und dem erfolgreichen Studien – und Berufsleben dienen.

Im Wingolfsbund finden sich aktive und ehemalige Studenten aller Fachrichtungen. Wir unterstützen uns gegenseitig. Wir lernen voneinander. Und der Studienerfolg und ein gutes Berufsleben eines einzelnen Mitglieds interessiert auch seine Bundesbrüder.

Korporativum

Was den Wingolf von anderen Clubs oder Vereinen unterscheidet ist seine Verbindlichkeit. Wir sind Studentenverbindungen, oder Korporationen. Mit dem Prinzip Korporativum sind alle Verfahrensweisen und Traditionen gemeint, die uns aus dem traditionellen Studentenverbindungswesen überliefert worden.

Z.B. der Convent, als Ort gemeinsamer Entscheidungen. Die Ämterstruktur, die Pflichten und Rechte fair verteilt. Aber auch der Comment, der u.a. regelt, wie Wingolfiten feiern, trauern, sich in der Öffentlichkeit bewegen etc.

Das Korporativum regelt das “Wie” einer Wingolfsverbindung. Auch für Wingolfsverbindungen gilt: The Medium is the Message. Und so wird man an der Stellung der Verbindung zum Korporativum auch ablesen können, wie die Verbindung gedenkt, das Zusammenleben der Bundesbrüder zu gestalten.

Die großen Drei

Das Academicum erinnert uns daran, dass es sich beim Wingolf um Studentenverbindungen handelt. Das heißt: Um Orte des gemeinsamen Lernens, auch weit über die eigene Studienzeit hinaus. Das Korporativum prägt unseren Alltag als Verbindungsstudenten und das Christianum ist Maßstab und Stütze unserer Verbindungen und Mitglieder zugleich.

Posted by Philipp Greifenstein