Die Geschichte des deutschen Filmschaffens wäre unvollständig, wenn man neben bedeutenden Regisseuren der Fünfziger- und Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts wie Helmut Käutner und Wolfgang Staudte den Namen Harald Braun (Be 19, Fr 20) unterschlagen würde.
Ihm gelang es ebenso wie diesen Kollegen, Filme zu drehen, die in jenen Jahren künstlerisches und ethisches Niveau mit dem Kassenerfolg verbanden. Es lohnt sich für uns, seiner hier zu gedenken: Harald Braun war nämlich Wingolfit! Er wurde am 26. April 1901 als Pfarrerssohn in Berlin geboren und wuchs auch dort auf. Als Wingolfit erscheint er erstmals in dem großen Nachkriegsvademecum von 1925 – schon als Dr. phil. und wiederum mit dem Wohnsitz Berlin.
Der Beitrag stammt von P. Riegelmeyer (Mst 54, E 55, H 02) und erschien ursprünglich in den Wingolfsblättern, der Zeitschrift des Wingolfsbundes.
Der Literaturkritiker
1924, fast noch als Student, wurde er Schriftleiter der Literaturzeitschrift „Eckart“. Er hatte selbst über Liliencron promoviert. Jetzt aber ging es um Werfel und Wiechert, um Benn und Döblin, um Thiess und Jünger, um Barlach und Wassermann. Gegen Ende von Brauns Arbeit am „Eckart“ trat auch Rudolf Alexander Schröder in diesen Kreis ein. Schließlich wagte Braun eine Zusammenfassung des bisher Geleisteten, der er den Titel „Dichterglaube“ gab. Das Buch fand starke Beachtung.
1932 wechselte Harald Braun ins Funkhaus an der Masurenallee. Dort übernahm er die literarische Abteilung und betätigte sich auch als Hörspielregisseur. Aus den ersten Monaten dieser Tätigkeit rührt seine Bekanntschaft mit dem Dichter Jochen Klepper her, die in dessen Tagebuchaufzeichnungen ihre Spuren hinterlassen hat.
Drehbücher und erste Regiearbeiten
Am 1. Oktober 1933 wurde Harald Braun beim Berliner Sender gekündigt. Aber er fiel sozusagen die Treppe hinauf. Obwohl er alles andere als ein Parteigänger der Nationalsozialisten war, gelang es ihm, in die Filmbranche einzusteigen. So etwas war damals noch möglich. Er betätigte sich zunächst als Drehbuchautor: Die Bücher zu den Filmen „Das Herz der Königin“ von 1940 (Zarah Leander als Maria Stuart!) und „Der Weg ins Freie“(1941, ebenfalls mit Zarah Leander) stammen von ihm Brauns erste Regiearbeit wurde der nach dem bekannten Roman von Otto Ludwig (1856) gedrehte Spielfilm „Zwischen Himmel und Erde“. Für die Außenaufnahmen zu diesem im Dachdeckermilieu spielenden Film ging Harald Braun in das damals – 1942 – noch unzerstörte Niederrheinstädtchen Xanten. Die Stadt bekam für sein Leben und Sterben schicksalhafte Bedeutung.
Durch seinen Erstling machte der Regisseur Harald Braun immerhin so auf sich aufmerksam, dass er bis Kriegsende noch ambitionierte Filme wie „Träumerei“ (1943, über das Leben Robert Schumanns, mit Mathias Wieman und Hilde Krahl) und „Nora“ (1945, nach Ibsens Drama) drehen konnte.
„Die Nachtwache“
Nach 1945 rückte Harald Braun erstaunlich schnell in die erste Reihe der deutschen Filmregisseure vor. Er avancierte 1947 zum Leiter der „Neuen Deutschen Filmgesellschaft“. 1949 kam der große Durchbruch mit dem Film „Nachtwache“, an den sich die älteren unter uns noch erinnern mögen. Harald Braun wagte es hier, in den Mittelpunkt der Filmhandlung zwei Geistliche zu stellen, einen evangelischen und einen katholischen, die in ökumenischer Eintracht zusammenarbeiten. So etwas hatte es im deutschen Film überhaupt noch nicht gegeben. Braun war durch seine Herkunft bis ins kleinste Detail mit dem christlich-kirchlichen Milieu vertraut.
Er arbeitete auch in diesem Film – ebenso wie in seinen späteren – mit der ersten Garnitur der deutschen Schauspielerei zusammen. Ihm standen bewährte, erfolgversprechende Kämpen aus Ufa-Zeiten zur Seite: René Deltgen, Luise Ulrich, Hans Nielsen – Letzterem gelang damit der Sprung ins Charakterfach. In der Rolle des Kaplans Imhoff trat ein Schauspieler erstmals vor das deutsche Kinopublikum, der damit schlagartig zum Filmstar der Nachkriegszeit wurde und bis zu seinem Tode auf der Leinwand wie auf dem Bildschirm in großer künstlerischer Wandlungsfähigkeit brillierte: Dieter Borsche. Er war zu dieser Zeit trotz seines jugendlichen Aussehens schon 40 Jahre alt und hatte einige Jahre Theater in der Provinz sowie die Kriegsteilnahme bereits hinter sich. Seiner Ausstrahlung als edler Charakter verdankte er dann noch eine Reihe weiterer Priester- und ärzterollen. Später konnte Borsche zeigen, dass auch ganz andere Charakterzüge in den von ihm verkörperten Gestalten steckten.
Harald Braun hat die in der „Nachtwache“ begonnene Linie nicht fortgesetzt. Es blieb einer der merkwürdigsten und isoliertesten Erfolge der Filmgeschichte. Binnen 18 Monaten sahen ihn sieben Millionen Menschen; er heimste eine Fülle von Auszeichnungen ein – vom Prädikat „Künstlerisch wertvoll“ bis hin zu zwei „Bambis“.
Brauns weiteres Schaffen
In den nächsten Jahren drehte Harald Braun in rascher Folge einen Film nach dem anderen. Er war in seinem Metier ein gefragter Mann. Ich erinnere mich, dass ich 1951 beim Berliner Kirchentag seinen Film „Der fallende Stern“ sah. Er gab neuerlich Dieter Borsche die Chance, seine Karriere als Lichtgestalt des deutschen Films auszubauen; außerdem aber ermöglichte er dem großen Mimen Werner Krauß, der durch seine Mitwirkung in dem Film „Jud Süß“ in der Film- und Theaterlandschaft der Nachkriegszeit völlig verfemt war, ein Comeback. Krauß durfte noch einmal – acht Jahre vor seinem Tode – vor einem breiten Publikum die schillernde Skala seiner reichen darstellerischen Möglichkeiten entfalten. 1952 drehte Harald Braun „Herz der Welt“, wieder mit Borsche, Wieman und Hilde Krahl, einen Film von ebenso hohem künstlerischen wie ethischen Anspruch über das Leben der österreichischen Pazifistin Bertha von Suttner.
Im Jahr darauf legte er den Spielfilm „Solange du da bist“ vor. Dieser Film markierte eine Wende in der öffentlichen Aufnahme von Brauns Schaffen. Er hatte, mit Maria Schell und Hardy Krüger, mit O. W. Fischer und Brigitte Horney ganz nach Publikumsgeschmack besetzt, die Geschichte der inneren Läuterung eines Traumfabrik-Regisseurs zum Thema, war also zum Teil ein Film über den Film. Erstmals wurden, neben reichlichem Beifall, auch Stimmen der Enttäuschung vernehmbar. Sie bemängelten eine gewisse Feierlichkeit, eine übersteigerte Neigung zu Symbolik und Allegorie.
Einen regelrechten Verriss erlebte Harald Braun schließlich mit seinem Film „Der letzte Sommer“ (1954) Auch wenn ihn die Evangelische Filmgilde zum „besten Film des Monats“ erklärte, schien er den meisten Kritikern ein Beweis für die These, dass sich hinter dem Regisseur, den einer seiner Bewunderer den „Humanisten und Moralisten unter den deutschen Filmschöpfern“ genannt hatte, ein verkappter Reaktionär, ein gefährlicher Apologet des Bestehenden verberge. Friedrich Luft, der Berliner Kritikerpapst, verstieg sich sogar zu dem Wunsch, es möge eine kleine Bombe platzen, damit das gefällige Edelmenschentum, wie es Brauns Filme beherrsche, zumindest einen Schock bekomme: „Was ist mit Harald Braun, dass er den Mut zur eigenen Courage am Ende doch auf triste Weise fehlen lässt?“
Trotzdem drehte Harald Braun in den fünfziger Jahren weiterhin Film um Film, darunter so ambitionierte wie „Königliche Hoheit“ nach dem Roman von Thomas Mann, wiederum mit Dieter Borsche und der inzwischen zum Publikumsliebling avancierten Ruth Leuwerik. Der „Zauberer“ äußerte seine Zufriedenheit über das Ergebnis. Bedauerlicherweise hat man ganz selten einmal die Chance, einen dieser Filme wiederzusehen.
Unverwirklichte Pläne
Fast interessanter als diese fertiggestellten Filme sind die Filmpläne, die Harald Braun aus den verschiedensten Gründen nicht verwirklichen konnte. So wollte er unter dem Titel „Die Zeit ist kurz“ das Leben Friedrichs von Bodelschwingh verfilmen. Dass dieses Projekt nicht zustandekam, lag offenbar nicht nur an wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
Die Biografen reden recht sibyllinisch von innerkirchlichen Querelen und davon, dass es Braun trotz vieler Drehbuchentwürfe nicht gelang, seine Sicht von diesem großen Kirchenmann mit der in Bethel gehüteten Tradition zur Übereinstimmung zu bringen. Wie auch immer – was hätte das für ein Film werden können, besonders wenn es auch noch gelungen wäre, die Rolle Bodelschwinghs mit einer angemessenen Schauspielerpersönlichkeit zu besetzen!
Schmerzlich war es für Harald Braun auch, dass er das schon weit vorangetriebene Projekt einer Verfilmung der „Buddenbrooks“ in andere Hände legen musste. Er wollte gerade zu den Dreharbeiten abreisen – da warf ihn ein erster Herzinfarkt auf ein langes Krankenlager. 1960 dann trat er wieder ganz gesund und unbeschwert noch einmal in ein Berliner Atelier, um für die Länge eines Spielfilms seine Arbeit in gewohnter Weise zu tun. Danach machte er sich auf den Weg, um Motive für das Fernsehspiel „Die Hochzeit der Feinde“ (nach der Novelle von Stefan Andres) zu sammeln.
Die erste Arbeit für das neue Medium sollte die erwünschte Bewährungsprobe nach dem Verblassen seines Ruhms als Filmregisseur werden. Die Schauplätze für die Außenaufnahmen suchte er in seiner Lieblingslandschaft am Niederrhein. In Xanten, der Stadt, wo sein erster Film spielte, wo er auch immer wieder einmal aufgeführt wird, wo sich ältere Bürgerinnen und Bürger noch lange an ihr Mitwirken als Statisten und an das unzerstörte Vorkriegsgesicht ihrer Stadt erinnerten – in Xanten in einem Hotelzimmer holte ihn am 24. September 1960 der Tod ab. Begraben liegt er in München.
Harald Brauns Filme – darin sind sich die Biographen einig – sind auch Ausdruck dessen, was er selbst als Christ glaubte und fühlte. Insofern steckt in ihren Bildern und Worten auch ein Stück Verkündigung! Er gehörte der Kunst, er gehörte seinem Publikum, er gehörte der Welt. Aber wir Wingolfiten dürfen sagen: Er war auch Geist von unserem Geiste.